Als die spanischen Conquistadoren vor rund 500 Jahren
Südamerika durchfuhren, trafen sie an den Ufern des mächtigen Stroms durch den
Urwald wehrhafte Frauen, die auf sie schossen. Sie nannten sie in Anlehnung an
die griechischen Mythen Amazonen und den Fluss Amazonas.
Die Amazonen, die in den griechischen Sagen beschrieben
werden, sind vermutlich Überbleibsel vorantiker matrifokaler Gruppen, die im
griechischen Reich, das aus seiner Frauenfeindlichkeit keinen Hehl machte (es
gab staatlich organisierte Bordelle, um die Truppen ruhig zu halten), überlebt
haben, von denen wir aber heute so gut wie nichts wissen. In der Rückschau
werden sie entweder dämonisiert oder sexualisiert. Das haben sie mit ihren
Schwestern am Amazonas übrigens gemeinsam, letztere erlebten dann noch die
ganze Brutalität der spanischen Eroberung, auch wenn mancher Zeitgenosse
behauptete, die Amazonen Südamerikas seien so wild auf die stinkenden Spanier
und Portugiesen gewesen, die da ihres Wegs kamen, dass sie sich quasi auf sie
stürzten. Wer’s glaubt!
So weit nichts Neues. Doch was bedeutet das für uns
Frauen und unser Verhältnis zum Widerstand gegen das Patriarchat? Welchen
historischen Vorbildern, Heldinnen folgen wir – an welche erinnern wir uns
überhaupt? Einige wenige Wissenschaftlerinnen versuchen die Geschichte der Frau
– die Herstory – dem Dunkel der Geschichte zu entreißen – ein Dunkel, dass die
männlichen Geschichtsschreiber nicht zufällig darüber legten. Wir sollen uns
nicht erinnern, nicht daran, wie es VORHER war, also vor dem Patriarchat, damit
wir uns nicht vorstellen können, dass es ein DANACH gibt.
Zu viele
Widersprüche oder »Feminist Awakening«
Das ist der Grund, weshalb die Beschäftigung mit dem
Feminismus für viele Frauen wie eine Art »Erweckung« ist. Auf einmal versteht
man, welche Ursache all die vielen Widersprüche, die Verletzungen, die Angriffe
und Zurücksetzungen des Alltags haben, die vorher keinen Sinn machten,
willkürlich wirkten. Wir begreifen, dass das, was wir erleben – öffentliches
Onanieren in der S-Bahn, sexistische Sprüche, tatschende Chefs, pornoschauende
Freunde, Pick-Up-Artists, die Allgegenwärtigkeit von sexueller Gewalt – nicht
zufällig uns passiert oder weil wir etwas falsch machen, sondern einfach, weil
wir Frauen sind. Frausein, das ist ein Schicksal. Nicht natürlicherweise, oh
nein, sondern weil es dazu gemacht wird.
Frauen müssen härter arbeiten, mehr aushalten, mehr
leisten und leben in der ständigen Gefahr, entweder vergewaltigt oder von ihrem
Lebenspartner umgebracht zu werden. Das gilt allerdings nur für die
vermeintlich so gleichberechtigte »westliche« Welt, in anderen Gegenden haben
Frauen sogar noch mehr zu befürchten, dafür gibt es dort keine offiziell
erlaubte besteuerte Serienvergewaltigung in Form von Prostitution, sondern nur
die heimliche.
Frauen, die wehrhaft sind, die sich querstellen,
aufbegehren, widersprechen, sind einer größeren Gefahr ausgesetzt, angegriffen,
verletzt oder sogar getötet zu werden und das überall auf der Welt. Und bevor
jetzt wieder jemand einen Beleg dafür fordert, sucht auch eine der vielen
Studien dazu aus, es gibt genug, der Rest ist – leider – Erfahrungswissen.
Das heißt nicht, dass die, die stillhalten, weniger
gefährdet sind, ganz darwinistisch betrachtet bedeutet der Umstand, dass das
Patriarchat noch immer existiert, dass Anpassung an seine Regeln die
Überlebenschancen für eine Frau erhöht, Widerstand hingegen senkt. Es ist kein
Zufall, dass Darwin ein Frauenfeind war und seine Theorien schon für allerlei
misogynen Bullshit herhalten mussten, doch folgt man ihnen, so ergibt sich eine
traurige Schlussfolgerung.
Was
»Ehrenmänner« so drauf haben
Diese wurde mir klar, als ich, mich der Arbeit
entziehend, die Serie »Basar des Schicksals« schaute, die auf einem realen
Brand im Paris des 19. Jahrhunderts basiert. Darin wird in drastischen Szenen
gezeigt, dass die Männer die durch ihre Röcke behinderten Frauen
niederprügelten, um aus dem Inferno zu entkommen, die Toten waren demnach alle
weiblich. Bei den Geschlechtsgenossen sorgte dieses Verhalten der »Ehrenmänner«
nur für ein Schulterzucken – sind ja »nur Frauen«.
Klar, wenn ich Frauen wie Vieh oder Gegenstände
betrachte, ist Gewalt oder Mord an ihnen auch kein Verbrechen.
Diese Sichtweise ist keineswegs der überschäumenden
Fantasie der Serienmacherinnen geschuldet, sondern sie repräsentiert eine
historische Wahrheit, die seit etwa 7000 Jahren Realität ist. Die Folgen sehen
wir an der weltweiten Gewalt an Frauen, jeden Tag stirbt allein in Deutschland
eine durch die Hand von Partner oder Ex-Partner.
Frauen sind »Besitz«, sie sind »minderwertig«,
»anfällig«, »Gefäße«, »keine vollwertigen Menschen« (Darwin!), nicht zu ähnlich
kognitiven Leistungen fähig wie Männer, »Kindern ähnlich«, »hysterisch« (ihr
wisst schon wer), sie sind »austauschbar«, »Gebärmaschinen«, »Bettwärmer«.
Das ist nur ein kurzer Abriss all der Zuschreibungen,
die von Philosophen (Fuck you, Aristoteles), Staatsmännern, Ärzten, Autoren
(ja, auch denen der Gegenwart), Frauen gegenüber gemacht wurden.
In dem Mann Frauen das Recht absprach, vollwertige
Menschen zu sein, setzte er den Wert ihres Lebens, ihrer seelischen und
körperlichen Integrität herab oder löschte ihn gleich aus.
Die unsichtbaren
Amazonen der Vergangenheit
Da das Patriarchat seit so vielen Jahren fortbesteht
und sich als die erfolgreichste Ideologie der Menschheit erwiesen hat (es
existiert seit 7000 Jahren weltweit, in fast allen Kulturen), ja, aus der
»Erfolgsgeschichte Mensch« gar nicht wegzudenken ist, ist klar, dass die, die
sich gegen die Unterdrückung erhoben haben, die unbekannten, unsichtbaren
Amazonen, vernichtet wurden. Nicht nur das, sie wurden ausradiert aus der
Geschichtee, denn wir können heute nur noch ahnen, dass es sie gab.
Es gab sie, als das Patriarchat mit der Auslöschung der
Göttinnenkulte begann, als es Ehebruch (nur für die Frau) ebenso wie Abtreibung
unter Strafe stellte, dem Mann das Recht gab, seine Frau zu prügeln oder bei
Untreue gleich zu töten (die Römer), ihnen Besitz fortnahm und einen
idiotischen Kult um Jungfräulichkeit inszenierte und Menstruationsblut ebenso
diskriminierte wie alte Frauen oder jene, die »nicht zu gebrauchen« waren.
Es gab sie, wann immer Frauenrechte (ja, die echten,
nicht die, die das Patriarchat uns zugesteht) bedroht oder verletzt wurden, es
gab mutige Frauen, die widersprachen, sich widersetzten, ihr Leben riskierten,
allein oder mit anderen. Sie alle sind verschwunden, erst ab der jüngeren
Vergangenheit, mit dem Beginn der ersten Frauenbewegung, kennen wir überhaupt
wieder ihre Namen.
Amazone,
Angepasste, von beiden steckt in jeder von uns etwas
Doch zu was macht das uns, wenn nur die Netten, die
Angepassten, die Ehefrauen, die Unterwürfigen, die Überlebenden, überlebten?
Forscher wissen, dass wir erfolgreiche Überlebensstrategien genetisch direkt an
unsere Kinder weitergeben. Wie viel wahrscheinlicher ist es, dass wir aus einer
langen Reihe angepasster Frauen stammen, jene, deren Kinder von einem Ehemann
beschützt wurden, von einem Familiennamen, von einer Herkunft? Wie sehr steckt
uns die Anpassung in den Genen?
Ich schreibe das, weil ich das Gefühl kenne, dass eine
empfindet, wenn sie mal wieder eine Frau sagen hört »Feminismus? Kann ich
nichts mit anfangen. Wir sind doch längst gleichberechtigt. Was wollt ihr denn
noch?«
Dann beißt frau sich auf die Zunge, versucht, sie nicht
zu verachten, sich daran zu erinnern, dass man selbst einmal so gedacht hat
(ich nicht und viele andere auch nicht, aber das tut nichts zur Sache), man
nimmt sich vielleicht die Zeit, ihr etwas zu erklären, oder schweigt, weil man
müde ist.
Ich bin jetzt Mitte 30. Vor zehn Jahren brannte ich für
den Feminismus. Es gab keine Diskussion, in die ich mich nicht hineinstürzte.
Ich rede mit meinem eigenen Vater nicht mehr, weil ich ihn als miesen Sexisten
enttarnte (kann man nachlesen hier auf dem Blog). Ich kannte keine Kompromisse,
wieso auch, verflucht noch mal! Wenn man erst einmal verstanden hat, was das
»Schicksal Frau« bedeutet, bekommt man eine verdammte Wut, an der man entweder
erstickt oder sie in Aktionismus umwandelt.
Beides macht müde. Beides sorgt für Verletzungen,
dafür, dass Beziehungen, Freundschaften kaputtgehen, dass frau als »schwierig«
oder »anstrengend« gilt. Man kann nicht lange an vorderster Front stehen – ich
konnte es nicht – deshalb gilt mein tiefer Respekt all jenen, die es noch immer
und ohne zu weichen tun. Das war keine bewusste Entscheidung. Irgendwann traf
ich, ganz Mittelklasse Mitte 30, ohne nennenswerte Sorgen (nämlich ohne
Ehemann), die Entscheidung, dass es sich ja doch irgendwie leben lässt im
Patriarchat, dass ich mich daran einrichten, damit klar kommen kann.
Doch an dieser Stelle ist es mit dem Patriarchat wie
mit dem Kapitalismus. Es kriegt jede(n) von uns. Es sei denn, man gehört zu den
oberen 10.000 und sogar dann. Es gibt kein Klarkommen. Es gibt kein richtiges
Leben im falschen.
Widerstand gegen
das Patriarchat ist potenziell tödlich
Manchmal ist es eine Weile leichter, das zu ignorieren,
wegzusehen, doch tief in sich weiß jede Frau, dass es stimmt. Und genau das ist
entscheidend: Lasst uns einander nicht vorwerfen, dass sich die Anpassung über
Jahrhunderte in unser Frausein geschlichen hat. Jede von uns muss überleben,
das galt damals und tut es heute. Lasst uns uns selbst nicht vorhalten, dass
wir nicht stark genug sind. Widerstand gegen das Patriarchat ist potenziell
tödlich, manchmal schnell, manchmal schleichend, in jedem Fall kostet er uns
Lebenskraft. Jede von uns hat das Recht, aus diesem Leben das Beste zu machen,
was ihr das »Schicksal« Frau an Freiraum lässt. Im Patriarchat ist jede Frau,
die über sich sagen kann »Ich bin frei« oder »Ich bin glücklich« ein Sieg, eine
kleine Revolution. Denn: Keine von uns ist frei, solange eine Einzige von uns
unterdrückt wird.
Die Amazonen sind verschwunden, ausgelöscht. Ebenso wie
die lange Reihe jener Frauen, die den Männern Widerstand leisteten.
Archäologische Funde lassen vermuten, dass es eine vorpatriarchale Zeit gab, in
der wir Frauen ebenso groß und stark wurden wie Männer. Unsere »schwächere«
Physiognomie hat man uns »angezüchtet«. Widerlich, ne? Das Wort? Aber leider
zutreffend. Wir heutigen Frauen sind aller Wahrscheinlichkeit nach das Ergebnis
jahrtausendelanger Zucht- und Züchtigungsversuche (die Wortähnlichkeit ist kein
Zufall). Die besten Frauen, die Mann sich machen kann.
Pech nur, dass in jeder von uns eben auch noch
Amazonenblut fließt, das Blut unbekannter, namenloser früher Feministinnen.
Sehen wir nicht die Anpassung in der anderen. Sehen wir diesen Geist des
Widerstands, der dort schlummert, sich ausruht, auf den rechten Moment wartet.
Alle Zucht hat nichts genutzt. Wir sind noch da, widerständiger als je zuvor. Feminismus ist nichts, was von außen an eine herangetragen wird. Er entsteht in jeder von uns in dem Moment, in dem wir erkennen, wie unser »Schicksal« und unser »Frausein« zusammenhängen. Wenn wir verstehen, dass die Amazone nur die andere Seite der Medaille einer Angepassten ist und umgekehrt. Alle Zucht hat nichts genutzt. Wir sind noch da, widerständiger als je zuvor. Feminismus ist nichts, was von außen an eine herangetragen wird. Er entsteht in jeder von uns in dem Moment, in dem wir erkennen, wie unser »Schicksal« und unser »Frausein« zusammenhängen. Wenn wir verstehen, dass die Amazone nur die andere Seite der Medaille einer Angepassten ist und umgekehrt.